Die Pyramide hat als Management-Modell ausgedient

Die Pyramide war mal gut, stösst heute immer mehr an ihre Grenzen. Und es gibt einige Gründe dafür. Zeit für einen Abgesang.

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In den meisten Organisationen knirscht es immer mehr im Gebälk. Die einen merken es früher, die anderen später, dafür teilweise umso drastischer. Egal ob Konzern oder KMU, die wenigsten Organisationen bleiben von Innovationsdruck, Digitalisierung, Fachkräftemangel oder – allgemein ausgedrückt – von der Komplexität der heutigen Welt verschont. Mehr und mehr Menschen beginnen sich – spätestens mit Beginn der zweiten Lebenshälfte – die Sinnfrage zu stellen. Und dies hat sowohl Einfluss darauf, welche Produkte von wem bezogen werden aber genauso auch, in welchen Organisationen Menschen arbeiten möchten.

Die Gründe sind umfangreich, weswegen immer mehr Organisationen mit dem Management-Modell „Pyramide“ an ihre Grenzen stossen.

Die Pyramide war mal gut…

Historisch betrachtet stellt die Pyramide – oder vielmehr die Ideen dahinter – einen der Erfolgsfaktoren der Industrialisierung dar, der zu dem Wohlstand unserer heutigen Gesellschaft führte. Für die damalige Zeit war die Pyramide gar revolutionär.

Allerdings gibt es die klassische Pyramide in vielen Organisationen schon lange nicht mehr. Die Hierarchie bestimmte, wie Kommunikation abläuft, wo Entscheidungen getroffen wurden und orientierte sich dabei immer entlang der Befehlskette. Direkte Kommunikation zwischen den ‚Silos‘ war nicht vorgesehen. Das hat vor allem noch in Produktionsbetrieben, Behörden, dem klassischen Militär oder auch der katholischen Kirche Bestand.

Viele Organisationen mussten sich aber über die Zeit an die veränderte Umwelt anpassen. Mit Projekten wurden die klassischen Linien-Wege durchkreuzt. Man kann dabei von einer ‚Pyramide mit Ausnahmen‘ sprechen, besser bekannt als Matrixorganisation. In den 1970er Jahren war dies auch eine Weiterentwicklung und konsequente Anpassung an die damalige Welt.

Und so waren sowohl die klassische wie auch später die Matrix-Organisation damals eine echte Weiterentwicklung. Nur die Zeiten ändern sich eben. Ich habe selbst sehr lange in den (Macht-)Strukturen von Matrix-Organisationen gearbeitet. Commerzbank, Credit Suisse, UBS, SwissRe und anderen Grössen der Finanzdienstleistungsbranche. Daher kann ich vieles von dem, was Mitarbeitende und Führungskräfte zum Teil an den Rand der Verzweiflung treibt, nachempfinden.

Denn der steigende, äussere Druck auf die Organisationen ist auch im inneren deutlich spürbar. Irrwitzige Zielvorgaben, Machtkämpfe, Intrigen, Out-Sourcing, In-Sourcing, Stellenabbau noch und nöcher. Und auf der anderen Seite Bonus- und Gehaltsexzesse, Shareholder-Value über alles und höher, weiter, schneller in allen Belangen.

Ein Umfeld, das für die meisten Menschen immer belastender wird. Angst ist subtil und omnipräsent vorhanden. Effektives Arbeiten wird immer schwieriger und ist häufig nur noch an allen Regeln vorbei möglich. Wer sich die zentralen Abteilungen von Unternehmen näher anschaut, wird sich schnell fragen, wie das Unternehmen dennoch überlebt. Meistens ist dies dem Umstand der Schattenorganisation (siehe Haufe-Quadrant) geschuldet. Menschen, die so tun, als würden sie sich an die Regeln halten, dabei aber nur Business-Theater spielen (siehe Lars Vollmer). Die eigentliche Arbeit erfolgt auf der Hinterbühne, dort wird nicht selten am offenen Herzen gearbeitet und so der Laden am Laufen gehalten. Und dafür gibt es sogar eine gängige Redewendung: ‚Dinge auf dem kleinen Dienstweg erledigen‘ bedeutet nichts anderes als das Umgehen der Bürokratie.

Was also hat sich verändert?

Unsere heutige Welt ist deutlich schneller, globaler, vernetzter, digitaler – mit einem Wort – komplexer als noch vor 40 Jahren. Das Motto „Oben wird gedacht, unten gemacht“ passt nicht mehr dazu. Eine komplexe Welt bedeutet auch, die Impulse des Markts schnell aufnehmen und entscheiden zu können, wie eine Organisation darauf reagieren soll. Und dies ständig, immer wieder und nicht mit lang geplanten, zentral gesteuerten, riesigen Big-Bang Initiativen.

Das Organisations-Design des Management-Modells „Pyramide“ ist dafür nicht mehr geeignet. Denn die Berührungspunkte zwischen Markt und Organisation finden sich vor allem an der Basis der Pyramiden-Organisation. Mehrheitlich werden die Impulse genau dort aufgenommen. Und genau dort müssten nun auch Entscheidungen getroffen werden können. Um Entscheidungen treffen zu können, benötigt es aber mindestens diese 3 Voraussetzungen:

  • klare und formale Entscheidungskompetenz
  • interne Transparenz
  • Klarheit über Unternehmensstrategie

Wer sich nun anschaut, wo die Entscheidungsmacht in einer Pyramiden-Organisation liegt, dem wird schnell klar, wo das Problem liegt. Die Macht wird zwar von oben nach unten delegiert; die Verantwortung bleibt aber letztlich oben.

Lasst uns eskalieren!

Wo früher dicke Regelwerke die Entscheidungskompetenz bis ins kleinste Detail definiert haben, heisst das Zauberwort in den meisten Matrix-Organisation „Eskalation“. Entscheidungsthemen werden also aufgrund von unklarer Entscheidungskompetenz, Unsicherheit, Angst (die häufig gar nicht so unbegründet ist) weiter nach oben eskaliert, um von dort eine Entscheidung zu erhalten.

In einer Pyramide werden daher die wichtigen (und nicht selten auch unwichtigen) Entscheidungen durch das mittlere und obere Management, also von wenigen Menschen, getroffen. Diese entscheiden für und über alle anderen, was bereits ausreichend Widerstand erzeugen kann. Dazu kommt, dass das Management aufgrund seiner hierarchischen Position viel zu weit weg vom Markt ist. Die Entscheidungen werden durch Informationen gestützt, die meistens geschönt und simplifiziert (entscheidergerecht aufbereitet) sind. Auf dieser Basis werden kaum gute Entscheidungen getroffen, was letztlich immer mehr Manager in den Zustand der Lähmung führt.

Wichtige Entscheidungen werden entweder gar nicht getroffen oder sind häufig für die Organisation nicht nachvollziehbar. Die Widerstände hingegen sind dafür enorm. Mit Change Management wird noch versucht, die Wogen zu glätten und durch das Tal der Tränen zu führen.

Peter Kruse, ein unlängst verstorbener Organisationspsychologe, hat hierzu ironisch postuliert:

Die Umsetzungsgeschwindigkeit in Unternehmen verhält sich umgekehrt proportional zur Entscheidungsgeschwindigkeit.
Alle Macht für niemand: Aufbruch der Unternehmensdemokraten (Andres Zeuch)

Entscheidungen werden nicht selten lange herausgezögert und dann auf den letzten Drücker entschieden. Und umgesetzt wird bestenfalls ein Teil davon, der Rest scheitert am Widerstand in der Organisation. Schwierige Voraussetzungen für eine immer komplexer werdende Welt.

Es gibt bereits Alternativen zur Pyramide. Der Weg dorthin gleich mehr einer Expedition in neue Gefilde. Dennoch werden Menschen und Organisationen auf so viele unterschiedliche Weisen belohnt, wenn sie diesen Weg gehen.

Wie die Alternativen aussehen könnten, wie man dorthin gelangt, was dafür benötigt wird und welche Herausforderungen einem auf dem Weg begegnen können, werde ich in den nächsten Artikeln näher beschreiben.

Herzliche Grüsse
Ralf & Andreas