Ausgangssituation: BarCamp mit 70 Teilnehmern, warm-up Spiel zum Beginn. Zwei (vermeintlich) konträre Begriffe werden genannt (z.B. Kaktus oder Orchidee), man entscheidet sich für Begriff A oder B, dann folgt der Austausch mit anderen Menschen, die auch diesen Begriff gewählt haben. Für mich als nicht so grossen Fan solcher Spielchen doch recht spannend, spätestens als diese Frage kam: MACHT oder AUGENHÖHE? 68 Menschen haben sich für Augenhöhe entschieden, zwei für Macht. In den darauffolgenden Diskussionen hat sich gezeigt:
Der Begriff „Macht“ ist negativ belegt.
Genau aus dem Grund möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für Macht brechen, denn:
Das Gegenteil von Macht ist Ohnmacht. Und wer möchte sich schon ohnmächtig fühlen? Das aber genau ist die Realität für sehr viele Menschen, egal ob beruflich oder privat. Viele fühlen sich „fremdgesteuert“ oder „getrieben“.
Ohne Macht ist keine Gestaltung möglich. Egal was ich verändern möchte, ich brauche dazu Macht. Im englischen wird Macht auch mit Power übersetzt was in der Übersetzung ein Synonym für „Kraft“ ist. Kein Wunder also, dass es dort weniger negativ besetzt ist, als im deutschen Sprachraum.
Macht bedeutet Möglichkeiten. Im Lateinischen wird Macht mit „potentia“ übersetzt, was doch sehr stark an das Wort Potenzial und damit Möglichkeiten erinnert. Und nichts anderes ist es auch. Macht gibt mir Möglichkeiten, etwas zu tun. Egal ob diese Macht durch Einfluss, Geld, formale oder informale Hierarchie, Ansehen etc. vorhanden ist.
Wir alle haben Macht. Um die Welt verändern zu können, muss ich zunächst meine eigene gestalterische Macht anerkennen. Dazu braucht es häufig ein hohes Mass an Bewusstheit für die eigene Persönlichkeit, um auch Fragen zu klären, wofür ich meine Macht überhaupt einsetzen möchte. Im Kern geschieht Veränderung dabei immer von innen nach aussen.
Nicht Macht ist das Problem sondern der Umgang damit
Nicht die Macht selbst wird negativ wahrgenommen, sondern wie diese eingesetzt wird. Und dabei hängt es sehr stark davon ab, aus welchem Wertesystem die Macht eingesetzt wird und durch welche Werte-Brille Menschen die Verwendung der Macht wahrnehmen.
Den Fokus der aktuell häufigsten Wertesystem habe ich als stereotype Beschreibung nachstehend zusammengefasst:
Fokus Durchsetzen
Es geht um’s Gewinnen, Siegen und Stärke zeigen und das um jeden Preis (Wolf of Wallstreet lässt grüssen). Man wittert ständig Gefahren um sich herum, Konkurrenz, Verlust, Niederlage – alles Dinge, die man in diesem Werte-Paradigma nicht möchte. Daher ist dort selbstverständlich, seine Macht voll auszunutzen, denn ich will gewinnen.
Fokus Ordnung
Alles mus seine Ordnung haben, es muss klar, logisch und erklärbar sein. Hierarchie gibt Strukturen, Sicherheit und Halt. Da ist für Ausnahmen kein Platz, menschliche Bedürfnisse werden kaum berücksichtigt, das System muss funktionieren.
Fokus Leistung
Die persönliche Selbstoptimierung getreu dem Leitspruch „höher, weiter, schneller“ ist oberstes Ziel. Mein Haus, mein Auto, meine Frau. Und das muss über die Zeit alles noch besser werden. Andere Menschen werden zu Hochleistung angespornt, wenn es den eigenen Zielen dient. Wettkampf darf auch sein, denn erst dadurch spornt man sich ja gegenseitig zu noch mehr Leistung an. Und ein guter Tag war dann, wenn ich Abends erschöpft ins Bett falle.
Wozu setze ich meine Macht ein?
Je nach Wertesystem verändert sich vor allem die Frage: Wozu nutze ich meine Macht? Denn Menschen mit einem grossen Mass an Gestaltungsmöglichkeiten können das Leben vieler massgeblich beeinflussen, in dem z.B.
- Ein Milliardär kann sich mit seinem Geld eine 200 Meter Yacht kaufen ODER das Geld für die Reinigung der Meere von Plastik einsetzen.
- Ein Lifestyle-Influencer kann sich darauf fokussieren, dass noch mehr Güter konsumiert werden ODER auch auf Themen wie Bewusstheit im Konsum hinweisen.
- Ein CEO kann sein Unternehmen auf eine 25% Gewinnmarge ausrichten ODER die Gewinnmarge limitieren und das zusätzliche Geld in nachhaltige Projekte investieren.
- Ein Inhaber kann seine Firma zum maximalen Preis an den Höchstbietenden verkaufen ODER diese Stück für Stück mit geringerem Erlös an seine Mitarbeitenden verkaufen.
Bewusstheit, Haltung und Mindset machen den Unterschied
Ich bin persönlich davon überzeugt, dass Menschen Systeme gestalten – der Unterschied ist nur, wie bewusst dies geschieht.
Organisationssysteme sind eine Manifestation unserer Werte
Und so wird es vermutlich nicht wundern, dass die meisten Organisationen (egal ob Wirtschaft, NGO, Staat, Politik) als Pyramide aufgebaut sind, um die Macht an der Spitze zu konzentrieren. Damit entscheiden wenige Menschen darüber, wie sich eine Organisation entwickelt. Systeme sind grundsätzlich selbsterhaltend, d.h. eine grundlegende Veränderung kann nur von dort initiiert werden, wo sich das Machtzentrum befindet. Und das ist nun mal in den meisten Firmen an der Spitze. Es gibt aber Hoffnung, denn…
Der Wandel läuft bereits
In Unternehmen verändert sich bereits langsam etwas, da der Druck durch die steigende Komplexität immer weiter zunimmt. Und nicht nur in Unternehmen, dies gilt auch für die Gesellschaft im allgemeinen. Beides – Unternehmen und Gesellschaft – beeinflussen sich wechselseitig. Verändert sich die Gesellschaft, verändern sich auch die Unternehmern. Verändern sich Unternehmen, hat das auch einen Einfluss auf den Wandel der Gesellschaft.
Und in Zeiten, in denen immer mehr Menschen in Machtpositionen mit Herausforderungen wie Überlastungen, Sinnkrise, persönlichen Krisen oder auch gesundheitlichen Problemen konfrontiert werden, ist die Chance sehr hoch, dass auch eine Veränderung im eigenen Denken und den Werten einsetzt. Daher bin ich auch davon überzeugt, dass sich die Machtverhältnisse in den nächsten Jahrzehnten deutlich verändern werden und Macht auf viele Menschen verteilt wird.
Bis dahin kann ich entweder die Hände in den Schoss legen und darauf verweisen, dass dieser oder jenes sich zuerst ändern muss. Oder aber ich überlege, was ich zu dem Wandel beitragen kann, den ich in der Welt sehen möchte. Denn die Macht von jedem einzelnen ist gross, wenn müssen sie nur nutzen.
Herzliche Grüsse
Ralf & Andreas