Psychologische Sicherheit: Ein Gleichgewicht zwischen Selbstverantwortung und Umgebung

Während immer mehr Menschen über New Work sprechen, Berater tolle Konzepte entwickeln und Xing den New Work Award vergibt, sieht die Welt für viele Menschen noch ganz anders aus. Denn bevor wir über New Work sprechen, sollten wir erst einmal die Grundlagen dafür schaffen.

Inhaltsverzeichnis

In der aktuellen Arbeitswelt gewinnt das Konzept der psychologischen Sicherheit zunehmend an Bedeutung. Doch hinter diesem Begriff verbirgt sich ein tieferes Verständnis, das oft übersehen wird. Was bedeutet psychologische Sicherheit wirklich, und wo liegt die Verantwortung für deren Entstehung?

 

Was ist psychologische Sicherheit?

Laut Hogrefe, dem Kompendium der Psychologie, beschreibt psychologische Sicherheit „die individuelle Überzeugung eines Menschen, dass es sicher ist, zwischenmenschliche Risiken einzugehen“ (Edmondson, 1999). Die Forschung bestätigt: Menschen, die sich sicher fühlen, können ihr volles Potenzial entfalten.

Du kennst diese Situationen wahrscheinlich: Du machst einen Fehler, stehst dazu und trägst die Konsequenzen – ohne Angst vor Bestrafung. Aus neurowissenschaftlicher Perspektive bedeutet dies: Du befindest dich nicht im Überlebensmodus. Dein Fight-or-Flight-System bleibt inaktiv.

 

Der Zustand der Selbstverantwortung

In einem Zustand psychologischer Sicherheit reagierst du nicht mit:

  • Schuldzuweisungen an andere
  • Rechtfertigungen durch äussere Umstände
  • Risikovermeidung aus Unsicherheit
  • Handlungen aus innerem Zwang
  • Resignation und Hoffnungslosigkeit

 

Stattdessen bist du:

  • Offen und entspannt
  • Lösungsorientiert statt problemfixiert
  • Empathisch im Umgang mit anderen
  • Empfänglich für Feedback
  • Fähig, auf unterschiedliche Menschen individuell einzugehen
  • In der Lage, dein Leben aktiv zu gestalten

 

Diesen Zustand können wir als Selbstverantwortung bezeichnen – die Fähigkeit, für unser inneres Erleben Verantwortung zu übernehmen und selbst zu entscheiden, wie wir auf äussere Umstände reagieren.

 

Das Missverständnis in der aktuellen Diskussion

In der gegenwärtigen Debatte wird ein entscheidender Aspekt oft vernachlässigt: Die Verantwortung für unseren inneren Zustand wird häufig nach aussen verlagert. Man erwartet:

  • Von Organisationen die perfekten Rahmenbedingungen
  • Von Führungskräften wertschätzenden Umgang
  • Von Kollegen gegenseitige Unterstützung

 

Diese Erwartungen sind berechtigt, doch die einseitige Verlagerung der Verantwortung nach aussen bringt Probleme mit sich:

  1. Fehlende Voraussetzungen: Ein „Safe Space“ kann nur von Menschen geschaffen werden, die selbst in einem Zustand der Selbstverantwortung sind.
  2. Mangelnde Nachhaltigkeit: Es entsteht eine Abhängigkeit – „Ich fühle mich nur sicher, wenn andere für meine Sicherheit sorgen.“
  3. Missbrauchspotenzial: Das Konzept kann instrumentalisiert werden, um kritisches Feedback abzuwehren oder Ansprüche durchzusetzen.

 

Ein ausgewogener Ansatz

Die Wahrheit liegt in der Balance: Psychologische Sicherheit entsteht im Wechselspiel zwischen Selbstverantwortung und Umgebungsfaktoren. Während Organisationen und Führungskräfte förderliche Bedingungen schaffen sollten, liegt es auch an jedem Einzelnen, innere Sicherheit zu kultivieren.

Die entscheidende Frage lautet nicht „Aussen oder innen?“, sondern vielmehr: Wie können wir beide Aspekte in Einklang bringen, um Arbeitsumgebungen zu schaffen, in denen Menschen ihr volles Potenzial entfalten können?